Ein nettes Geburtstagsgeschenk!

Als ich den DIN-A3-Umschlag öffnete, sah ich das Foto vom letzten Halbmarathon, wo Jana und ich das Finisher-TShirt zur Schau stellten. Ich fragte mich, was das für ein Geschenk ist, wenn ich das Foto doch schon längst kenne, da geriet das Entsetzen in meine Augen; das "Halb" vom Halb-Marathon war durchgestrichen! Ich drehte das Bild um und fiel fast in Ohnmacht: Sie zeigte eine vergrößerte Kopie der Anmeldung zum nächsten Berlin-Marathon.

Der letzte Halbmarathon war wegen der großen Hitze eine Tortour gewesen, bei dem ich manchmal auf dem Bürgersteig lief, nur um aus der Sonne herauszukommen. Und jetzt die Vorstellung, dass ich dieselbe Strecke nochmal zurücklaufen muss ... Na gut, Läufer ticken eh nicht ganz richtig, also sagte ich mit etwas Stolz "Bist du verrückt?". In solchen Fällen wendet Jana immer noch die Methode an, die schon seit fast drei Jahrzehnten funktioniert: "Oh Papppiiiiiiiiiiiiieeeeeee, bitteeee, bevor ich 30 werde, möchte ich einmal mit dir einen Marathon laufen ...". Na gut, überflüssig zu sagen, dass die Methode natürlich auch hier funktionierte. Welche Tochter hat schon solch irre Geburtstagswünsche ...

In meinem Hirn stellte ich mir sofort den Trainingsablauf vor; gleich morgen wird die doppelte Strecke gelaufen ... Mir war natürlich klar, dass es noch 10 Monate bis zum Starttermin waren, aber solche Vorstellungen beruhigen. "Wie stellst du dir das denn vor? Wir sind noch nie weiter als 21 km gelaufen." Es war klar, dass sie natürlich schon wieder für alles einen Plan hatte, man kann ihr eben nicht entkommen. Der von einem Sportwissenschaftler erarbeite Plan sah ein 6-monatiges Training vor, dass im Frühjahr des nächsten Jahres beginnen sollte. Bis dahin "können wir zweimal die Woche ein wenig mehr Laufen als üblich.

Das Laufen im Winter war durch Temperaturen und die daraus folgende Eisbildung etwas beeinträchtig. Nur wer mal bei -10 Grad mit Laufschuhen auf vereisten Wegen gelaufen ist, weiß, was kribbelnde Oberschenkel und ein Eiertanz darstellen. Immerhin hat der Läufer, der aus dem tiefsten Grunewald kommend an uns vorbei lief, meine Hochachtung bekommen; er dampfte wie ein Walross und sein Fleeceshirt war auf dem Rücken von Einkristallen überzogen. Wahrscheinlich hat der auch so ein Geburtstagsgeschenk bekommen ... und trainiert jetzt völlig losgelöst vom Wetter.

Die ganze Zeit über schwankte ich zwischen Größenwahn und Niedergeschlagenheit, je nachdem wie das Laufen ablief, locker oder anstrengend. Im Früjahr ging es dann mit dem Intervalltraining los, 800m so schnell wie es geht, 5 Minuten Pause und das 10 Mal hintereinander. Das wurde dann noch in allen möglichen Varianten ausprobiert und führte schon mal dazu, dass schon 1km mehr als anstrengend sein kann. Aber immerhin war man noch zu Blödsinn aufgelegt; als einmal eine Skaterin an uns vorbei fuhr, sagte ich zu Patrick "Wenn du die einholst, gebe ich einen aus!". Man muss schon ein Läufer sein, um so eine bekloppte Wette anzugehen. Wie auch immer, nach 400m hatte er sie eingeholt und brauchte dann erst einmal ein paar Minuten ...

Das Training fand jeweils drei Mal in der Woche statt, wobei an den Wochenenden immer längere Läufe anstanden, die bis 4 Wochen vor dem Marathon auf 27km zu steigern waren.

Was gibt es sonst noch zu berichten: nicht viel, wenn man mal absieht

  • von den Wildschweinen, die regelmäßige Begleiter waren, wenn wir im Dunkeln durch den Wald liefen;
  • den Mücken, die sich kamikazeartig aus dem Nichts auf einen stürzten, wenn man mal aus dringendem Grund in die Büsche flüchten musste;
  • dass Brustwarzen sich am nassen T-Shirt wund scheuern können und zu Batik-ähnlichen Verzierungen führen.

    Zwischendurch beging ich einen folgenschweren Fehler, indem ich meiner Mutter erzählte, dass das doch ein schöner Tod sein müsste, wenn man beim ersten Marathon kurz hinterm Ziel zusammenbricht ... Ich hätte es wissen müssen, denn sie rief sofort Jana an und fragte sie, ob sie auch genug auf ihren Papa aufpasst. War ich schon senil, dass ich eine Betreuung brauchte?? Anscheinend, denn Jana machte erst einmal einen Termin beim Sportarzt für eine Untersuchung. Gut, ich gebe ja zu, dass ich nicht sonderlich aufbegehrt hätte, wenn die Ärztin nach der Untersuchung gesagt hätte "Herr Voß, dass geht absolut nicht, dass sie in ihrem Alter noch einen Marathon laufen wollen". Nein, stattdessen kamen die Aussagen: "Das finde ich ja richtig niedlich, dass ihre Tochter sich das wünscht!" und "Bei ihrer Konstitution werden sie doch sicher eine Zeit unter vier Stunden anstreben". Ja ja, die letzte Aussage machte mich ein paar Zentimeter größer, aber ich sagte nur "Nein nein, die Zeit ist mir egal, zusammen mit meiner Erbmasse zu laufen ist durch nichts zu toppen!".

    Die beiden Halbmarathon, die wir noch als Training mitliefen, waren sehr unterschiedlich, der erste eine Katastrophe, der zweite sehr gut. Und der war vier Wochen vor dem großen Termin. Immerhin war jetzt im Kopf alles klar; wenn ich den Wilden Eber erreiche, dann komme ich auch ins Ziel und wenn es sein muss, auf allen Vieren ...

    Dann kam der große Tag. Damit das jubelnde Volk am Straßenrand uns auch nicht verpasste, liefen wir im traditionellen Schwarz-Gelb. Eigentlich ist alles kurz erklärt, denn der Ablauf war genau so, wie man es überall nachlesen konnte: die erste Hälfte läuft man wie im Training, bei 30km fängt alles an weh zu tun und den Rest musst du irgendwie schaffen. Bei genau 31km kam bei mir allerdings die Keule, die Waden verhärteten sich, Krämpfe setzen ein und die Bänder im Knie meinten "Dass hast du vorher nicht gesagt, dass du weiter als 31 km läufst! Wir sind nur auf diese Strecke geeicht!". Es ging danach nur noch ein Intervalllaufen, 50m gehen und 400m laufen. Aber egal, obwohl, 11km können tierisch weit sein ...

    Wie auch immer, durch unser Training war es völlig ausgeschlossen, dass ich einen Herzkaspar bekommen würde, zumal Jana stur wie sonst was, konstant ihr langsames Tempo lief. Ich konnte sie ja nicht alleine lassen, sonst hätte sie bestimmt im Ziel einsam und verlassen gestanden ... Na gut, wenn man auf den Streckenschildern zum ersten Mal die 4 als Zehnerstelle sieht, ist es schon beeindruckend. Als wir auf "Unter den Linden einbogen" sagte Patrick, "Oh da hinten sieht man SCHON das Brandenburger Tor". Ich dachte allerdings nur "ERST ...". Und nach dem Ziel, war klar "Nie wieder!"

    Wie auch immer, nun haben wir auch das geschafft und ich war ein wenig gespannt, was es diesmal zum Geburtstag gibt, es war keine Anmeldung zum New-York-Marathon, irgendwie langweilig ... denn die Erinnerung an die Schmerzen war schon längst verblasst ... :-) Und Jana wird in ein paar Monaten 30 und bekommt all ihre Wünsche erfüllt ...


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